Als einzige übrig
von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Gesellschaft, Bücher
Wie man sicherlich an meinen Texten hier merkt, konnte ich in den letzten neun Jahren meine Trauer um die Kinder, die wir nie haben werden, grösstenteils verarbeiten. Inzwischen bin ich zu 95% okay mit diesem Thema. Ich habe mich neu ausgerichtet, einen Plan B entwickelt, neue Freunde gefunden. Dennoch gibt es immer mal wieder Momente, die mir zu schaffen machen.
Damals, in der aktiven Kinderwunschzeit und der akuten Trauerphase, erlebte ich die erste Babywelle in meiner Herkunftsfamilie. Nun befinden wir uns mitten in der zweiten. Was daran liegt, dass ich aus einer grossen Familie komme und der Altersunterschied zwischen mir und meiner jüngsten Schwester 14 Jahre beträgt.
Meine emotionalen Voraussetzungen sind heute sehr viel besser als in der ersten Geburtenwelle: Die “Wunde” des Kinderlos-Seins durfte heilen. Geblieben ist eine Narbe, die vielleicht empfindlicher ist als die restliche Haut, im übertragenen Sinne, die mich aber meistens nicht mehr einschränkt. Dafür bin ich dankbar. Jedoch bin ich nun seit Februar die einzige in meiner Herkunftsfamilie, die keine Kinder hat. Und das macht etwas mit mir.
Grundsätzlich würde ich niemandem in meiner Familie böse Absichten unterstellen. Trotzdem fühlte ich mich bei unserem Geschwistertreffen im Mai ziemlich aussen vor. Es war die Rede von den schlaflosen Nächten, womit meine chronischen Schlafprobleme jedoch nicht gemeint waren. Mir wurde deutlich signalisiert, dass das Schlafmanko frischgebackener Eltern nur von anderen Eltern wirklich verstanden werden kann. Nun hatte ich dieses Treffen initiiert in der Hoffnung, die Verbindung zu meinen Geschwistern etwas zu stärken. Ich wohne von allen am weitesten weg. Leider wurde ich enttäuscht. Statt mich meinen Geschwistern näher zu fühlen, war das Gegenteil der Fall. Und ich konnte erst nicht benennen, woran es lag. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich die Worte dafür fand.
Zwischen meinen Geschwistern gibt es eine Solidarität, ein Verständnis, das mir nicht gilt. Wenn ich verstanden und gesehen werden will, muss ich mich an andere Menschen wenden. Und das… ich glaube, Schmerz wäre ein zu starkes Wort, aber es enttäuscht mich. Ich gehöre nicht so richtig dazu, nicht ganz. Ich bin wieder ausgeschlossen, so wie ich es vor neun, zehn Jahren in meinem damaligen Freundeskreis war. Im Unterschied zu den Freunden kann ich meine Familie nicht ändern, kann sie mir nicht neu aufbauen. Meine Familie ist meine Familie. Und sie bleibt es.
Da das Leben meiner Eltern um ihre Enkel kreist, fühle ich mich von ihnen manchmal etwas vernachlässigt. Ich erhalte öfter Nachrichten von meinen Schwiegereltern als von meinen eigenen Eltern. Diese sind teilweise etwas am Anschlag, weil sie so stark nach den Bedürfnissen ihrer Nachkommen mit Kindern leben. Wenn wir miteinander sprechen, höre ich immer dasselbe: Es sei alles etwas viel. Damals, in meiner akuten Trauerphase, merkten sie zum Glück, dass es mir nicht gut ging. Sie sagten zwar die gedankenlosesten Dinge, die mich verletzten, aber sie gingen zum Beispiel auch mit mir wandern. Jetzt ist das anders. Meine Eltern melden sich kaum bei mir. Dieses Jahr habe ich sie dreimal gesehen. Wenn wir auf meine Initiative hin versuchen einen Termin zu finden, ist es schwieriger, in ihrem Kalender eine Lücke zu finden als in unserem. Das war schon immer so, hat sich aber durch die wachsende Enkelschar noch verstärkt.
Diesen Sommer las ich “Nicht ohne meine Eltern” von Sandra Konrad, ein Buch über die gesunde Ablösung von den Eltern, das ich wärmstens empfehlen kann. Es hat mich bestärkt darin, die Kontakte mit meiner Familie bewusster zu gestalten. Wenn ich anrufe, ist meine Mutter beispielsweise in der Lage, eine Stunde lang detailliert zu erzählen, was sie alles in Haushalt und Garten gemacht hat, ohne mich zu fragen, wie es mir geht. Wenn mir das nicht gefällt, kann ich mich bewusst dafür entscheiden, des Gespräch anders zu steuern. Zum Glück steigt meine Mutter bereitwillig darauf ein ;-).
Ich gebe zu, dass ich mich diesen Frühling in einer ersten Reaktion von meiner Familie eher etwas zurückzog, weil sie bei mir wenig positive Gefühle auslöst. Umso dankbarer bin ich für meine “gewählte Familie”, das heisst für meine Freunde, die meine Interessen teilen und mich verstehen. Die sich auch wieder bei mir melden und fragen, ob wir uns wiedersehen. Das ist so unglaublich wertvoll!
Wie geht es Euch in Eurer Herkunftsfamilie?
Fühlt Ihr Euch von ihr gesehen und gut in ihr aufgehoben?
Ich bin gespannt, von Euch zu hören :-).
PS: Ich hatte erst ein anderes Bild zu diesem Text ausgewählt. Eins in Grautönen, das mehr Einsamkeit ausdrückt. Jedoch wurde es diese Woche kalt und herbstlich. Vier Grad in der Nacht, brrrr! Darum war mir mehr nach Farbe. Das hier sind die aktuellen Dahlienschönheiten aus dem Garten :-).
Foto: Elaine
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