Das grosse Schweigen
von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Gesellschaft, Isolation, Tabu
Heute teile ich einen alten Text mit Euch. Er schlummerte jahrelang vor sich hin, bis ich kürzlich wieder über ihn stolperte. Nun möchte ich ihn – mit sehr viel Verspätung – doch noch veröffentlichen. Weil ich vermute, dass er für manche von Euch Relevanz haben könnte. Hier ist er:
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In der Zeit des Kinderwunsches und des Abschiedes davon bin ich irgendwann praktisch verstummt. Gesellschaftlich gesehen. Vielleicht nicht gegenüber meinem Mann oder meinem engeren Umfeld. Aber darüber hinaus schon.
Alle anderen redeten über ihre Erfahrungen als junge Mütter. Von ihren Gefühlen in der Schwangerschaft. Von schlaflosen Nächten, Still- oder Erziehungsproblemen, Schwangerschaftsübelkeit. Was hatte ich zu erzählen? Nichts. Oder nichts, was gesellschaftlich akzeptabel gewesen wäre. Es ging mir nicht gut. Ich wurde hin und hergeschaukelt zwischen Enttäuschung und Hoffnung, jeden Monat. Und ich konnte nichts davon erzählen. Im engen Familienkreis und mit langjährigen Freundinnen redete ich darüber. Aber ich hatte wenig, was ich sonst in der Gesellschaft sagen konnte. Ich begann Feste zu meiden. Weil ich dort war wie eine Hülle ohne Inhalt. Nun ja, ich hatte schon Inhalt. Aber das war nicht ein Inhalt, den ich mit anderen teilen konnte. Die Trauer, der Schmerz, die Enttäuschung, die Verzweiflung. Nichts davon war salonfähig. An Parties sollte man scherzen, lachen, sich für sein Gegenüber interessieren. Wenn man sich innerlich wie betäubt fühlt, ist das schwierig.
Vielleicht ist das mit etwas vom Härtesten. Dieses Schweigen. Das Nicht-Verstanden-, Nicht-Gesehen-Werden. Es steht für Einsamkeit und Isolation. Und auch wenn die Trauer, die Wut, die Enttäuschung, der Schmerz weit schlimmer scheinen als dieses Schweigen, so ist das Schweigen auf lange Sicht tödlich.
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Meine Frage heute an Euch:
Habt Ihr das auch so erlebt?
Wie geht oder ging es Euch damit?
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Nachtrag:
Dieser Post war vorbereitet und zum Aufschalten programmiert, bevor sich in Osteuropa die Ereignisse überstürzten. Ich persönlich mache mir diesbezüglich grosse Sorgen. Weil ich das Bedürfnis hatte, etwas zu tun, habe ich für die ukrainischen Flüchtlinge gespendet; sehr viel mehr kann ich im Moment von hier aus nicht tun. Ich entschied aber vor allem auch, deswegen nicht auf allen Kanälen zu verstummen.
Corona hat online bereits viele tolle Frauenstimmen zum Schweigen gebraucht. Ich habe dafür grösstes Verständnis, denn es war/ist eine herausfordernde Zeit. Trotzdem vermiss(t)e ich die wunderbaren Texte dieser Menschen. Mir war umso wichtiger, weiterzuschreiben. Meine Meinung ist, dass niemandem geholfen ist, wenn ich verstumme. Vielleicht ist es gerade umso wichtiger, dass wir nicht nur Kriegsmeldungen lesen.
Fühlt Euch umarmt, wenn Ihr mögt.
Und tragt Euch Sorge.
Eure Elaine
Foto: Elaine
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