Der liebe Haushalt
von Elaine, über Abschied vom Kinderwunsch, Trauer
Eigentlich bin ich Perfektionistin. Früher war es bei uns meist picobello sauber. Neben dem wöchentlichen “Kehr” wurde einmal jährlich nach und nach die ganze Wohnung gründlich auf Vordermann gebracht; so fühlte ich mich wohl. Mein Mann hatte seine Aufgaben, die er ebenfalls erledigte. Das ging so bis zu meiner Operation vor zweieinhalb Jahren. Dann wurde es anders.
Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich vor der Operation unbedingt den Balkon geputzt haben wollte, weil ich wusste, dass ich danach länger nicht mehr anstrengende körperliche Arbeit würde verrichten können. Ich hatte nicht ganz unrecht damit, wie ich im Nachhinein merken musste. Aber aus anderen Gründen, als ich damals gedacht hatte
Mein Mann half viel im Haushalt. Nach der Operation machte er eigentlich alles. Später kümmerte er sich nur noch um seine “Ämtchen”, während mein Teil des Haushaltes sehr oft liegen blieb oder einfach erst geputzt wurde, wenn es mich wirklich sehr störte. Zuerst musste ich mich von der Operation erholen. Und dann war ich schon mitten in der Kinderwunschbehandlung, die mir auch nicht mehr viel Zeit und Kraft liess. Danach… kam die Trauer. In der mir oft die Energie für alles zu fehlen schien.
Das hat auch dazu geführt, dass wir kaum mehr Gäste hatten. Ich hatte nicht die Kraft, die Wohnung aufzuräumen und zu putzen, bevor jemand kam, geschweige denn dafür, ein Menu zu planen, einzukaufen und zu kochen. Inzwischen haben wir wieder Gäste, aber noch nicht sehr oft.
Dieses Jahr konnte ich manche Dinge wieder aufholen. Auf dem früheren Niveau sind wir jedoch längst noch nicht. Dafür fehlt bislang immer noch der Elan. Vermutlich benötige ich ein gutes, emotional stabiles Jahr, um unsere Wohnung wieder komplett auf Vordermann zu bringen. Bis jetzt hatte ich das noch nicht. Es geht mir zwar ein ganzes Stück besser, aber ich bin noch nicht ganz stabil.
Warum schreibe ich das? Der Haushalt scheint etwas Triviales zu sein. Allerdings ist sein Zustand auch Ausdruck von etwas Tieferem, das vor sich geht. Mein Mann sagte kürzlich, wir wären eine Zeit lang im Ausnahmezustand gewesen. Und das stimmt.
Im Sommer hatte ich mir ein paar Bücher bestellt, unter anderem Living the Life Unexpected von Jody Day. Ich habe erst jetzt damit angefangen, ein wenig darin zu lesen. Zu Beginn des Buches hat es einen Fragebogen. Unter anderem stehen da Fragen nach ganz alltäglichen Dingen: wie vollgestopft die eigene Wohnung sei, und wie gut man den alltäglichen Papierkram im Griff habe. Mit dem Papierkram habe ich keine Probleme, vielleicht auch, weil sich mein Mann grösstenteils darum gekümmert hat. Aber so richtig gründlich ausgemistet habe ich tatsächlich schon lange nicht mehr. Ein Blick in unseren unübersichtlichen Vorratsschrank genügt, um das festzustellen.
Es kann zu negativen Gefühlen führen, wenn man denkt, den Haushalt nicht mehr im Griff zu haben. Scham. Vielleicht empfindet man die Wohnung nicht mehr als vorzeigbar.
Ich bin nicht die Einzige, ich weiss. Manche meiner Freundinnen mit Kindern haben aus ganz anderen Gründen als ich eine Wohnung, die nicht mehr ihren früheren Standards an Sauberkeit und Ordnung entspricht. Das tröstet mich dann ein wenig. Und vielleicht ist es auch eine ganz gute Erfahrung, nicht perfekt sein zu können und sich damit abzufinden. Auch wenn ich mit dem Ist-Zustand schon nicht ganz zufrieden bin. Oder vielleicht sollte ich es auch als Fortschritt sehen: Ich setze andere Prioritäten. Mein Wohlbefinden kommt vor der Perfektion. Ich gehe lieber eine Runde laufen oder spazieren, als mich von der Arbeit bestimmen zu lassen.
Wie ist das bei Euch?
Foto: Elaine
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