Die eigene Welt erschaffen
von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Gesellschaft, Weisheit, Hoffnung, Heilsam
Ich mag Zitate. Bei manchen macht es in meinem Innern “klick”. Das sind die Aha-Momente, die mich im Leben so viel weiterbringen. Es gibt einige Zitate, die mich im Zusammenhang mit meiner ungewollten Kinderlosigkeit besonders stark begleiten. Heute schreibe ich über eines davon. Es stammt von Anais Nin, einer amerikanischen Schriftstellerin:
Had I not created my whole world, I would certainly have died in other people’s.
Ich versuche das mal auf Deutsch zu übersetzen:
“Wenn ich mir nicht meine eigene (gesamte) Welt erschaffen hätte, wäre ich in der Welt der anderen zugrunde gegangen."
Dieses Zitat fand mich, als ich es dringend brauchte. Aber ich sollte am Anfang der Geschichte beginnen. Da war ich nämlich noch ziemlich frisch verheiratet.
Das Umfeld verändert sich
Es war die Zeit, in der die ersten Frauen in meinem nahen Umfeld Kinder bekamen. Damals ging ich noch davon aus, dass ich auch Kinder haben würde. Diese Frauen waren meist dankbar um Hilfe. Ich ging vorbei und spielte mit dem Kind oder kochte das Mittagessen. Ich tat das mehrfach und für verschiedene Frauen. Auf diese Weise konnte ich Anteil nehmen am neuen Leben meiner Freundinnen und ihnen gleichzeitig helfen. Ich freute mich, die Babys zu sehen. Es war schön, jemandem etwas Gutes tun zu können.
Dann kam die Zeit, in der ich schwanger werden wollte, dringend und von ganzem Herzen, während es bei den Frauen um mich herum ganz einfach zu klappen schien. Eine nach der anderen verkündete die frohe Nachricht, nur ich blieb auf der Strecke. Ich verstand es nicht. Es kostete mich immer mehr Kraft, am Leben der jungen Mütter oder erstmals Schwangeren Anteil zu nehmen, weil sich gleichzeitig bei mir eine Trauer und Enttäuschung einschlich. Irgendwann kam der Tag, an dem ich einsah, dass ich nicht mehr helfen konnte. Ich musste für mich selber schauen.
Wenn sich alles um die Kinder dreht
Jetzt ging es mir darum, die Freundschaften und Beziehungen zu erhalten. Manche drohten zu zerbrechen, weil diese Frauen sich plötzlich wie auf einem anderen Planeten befanden. Dem Planeten der Mütter. Sie redeten eine andere Sprache, hatten andere Sorgen. Es wurde schwierig, einen Termin zum Telefonieren zu finden. Wenn wir uns trafen, konnten wir kaum ein normales Gespräch führen, weil wir immer von den Kindern unterbrochen wurden. Überhaupt drehte sich alles um die Kinder. Das ist normal, aber sehr schwierig, wenn man sich selbst noch in der Warteschlaufe des Kinderwunsches befindet.
Mit der Zeit merkte ich, dass diese Frauen gar nicht auf einem anderen Planeten waren. Nein, ich war mit ihnen auf dem gleichen Planeten gelandet. Dem Planeten der Mütter, der Kinder, der Schwangeren. Es gab kein Entkommen. Ich war da, und doch war ich ausgeschlossen. Konnte nicht mitreden. Diese Welt bestand aus Gesprächen über Stillprobleme, schlaflose Nächte, die Blähungen der Kleinkinder und anderen Sorgen. Und jedes dieser Gespräche war für mich schmerzhaft. Wenn es diesen Frauen nicht so gut ging, hatte ich Mühe damit, mir ihre Unzufriedenheit anzuhören, weil sie doch genau das hatten, was ich wollte: ein Kind.
Es war wie eine Wunde, in die ständig Salz gestreut wird. Die Gesellschaft ist auf Kinder und Familien ausgerichtet. Da war ich nun mitten drin, als Fremde in dieser Gesellschaft, in der mich niemand wirklich verstand, und fühlte mich einsam. Wir begaben uns in Kinderwunschbehandlung, und nach einer gewissen Zeit mussten wir aufgeben. Die Trauer kam und brach über mir zusammen wie eine grosse Welle.
Rückzug aus der Gesellschaft
Ich versuchte noch, meine Patenkinder und Nichten, Neffen zu sehen, meine Freundinnen zu treffen. Es ging nicht mehr. Ich brach beispielsweise vor meiner Freundin in Tränen aus, bei ihr zu Hause, mit den Kindern und allem. Danach fiel ich in ein Loch, wo ich während Tagen blieb. Also sagte ich diesen Menschen, die mir eigentlich so lieb sind, dass ich sie nicht mehr sehen könne. Zu meinem eigenen Schutz. Mir fehlte die Kraft dazu. Einige konnten zwischendurch einen Babysitter organisieren, so dass wir uns ohne Kinder treffen konnten. Andere hatten keine Möglichkeit dazu. Oder aber es ging ihnen als Mutter selbst nicht gut genug und sie konnten sich nur knapp über Wasser halten. So kam es, dass ich anfing, ein recht zurückgezogenes Leben zu führen. Es ging nicht anders. Ich musste trauern. Und heilen. Erst dann konnte ich es wieder mit Kindern und Familien aufnehmen.
Irgendwann merkte ich, dass ich gar nicht unbedingt in diese Welt der Mütter und Kinder zurück wollte. Ich passte nicht in diese Welt. Ich wäre immer nur diejenige, die keine Ahnung hat, diejenige, die gerne dazu gehört hätte, es aber nicht kann. Der Schmerz war zu gross. Ja, ich wollte wieder Familien besuchen können. Ja, ich wollte meine Patenkinder eines Tages wiedersehen. Aber ich konnte nicht mehr die hilfsbereite Freundin, Tante oder Patin sein, die ich einmal war. Ich konnte nicht eine Stütze sein für das Familienleben der anderen, während ich selbst keines hatte. Das hätte mich kaputt gemacht.
Meine eigene Welt
In genau dieser Zeit stolperte ich über das Zitat von Anais Nin. Und ich wusste: das ist es. Ich brauche eine andere Welt. Diese Welt ist nicht gut für mich. Ich kann mich nicht nach den Bedürfnissen der familienzentrierten Gesellschaft richten. Ich muss mein eigenes Leben finden. Das, wozu ich geschaffen bin. Wenn nicht, um Mutter zu sein, dann für etwas anderes.
Es ging nur langsam. Ich trauerte. Ich erholte mich oder versuchte es zumindest. Ich machte Dinge, die mir gut tun. Ich las Bücher, führte Gespräche. Ich gelangte zur Überzeugung, dass ich, auch wenn ich nicht Mutter sein kann, trotzdem wichtig bin für die Gesellschaft. Weil es mich nur einmal gibt. Ich muss mir meine eigene Welt erschaffen. Und ich fing damit an, indem ich mich zurück darauf besann, wer ich bin. Was ich kann. Und dann setzte ich mich in Bewegung. Um wieder mich selbst zu werden. Ich hatte mich nämlich ein bisschen verloren auf diesem Kinderwunschweg.
Seit ich mich in Bewegung gesetzt habe, geht es mir besser. Stück für Stück erschaffe ich mir meine eigene Welt, mein eigenes Leben. Eines, das nicht so ist, wie ich es gewünscht hatte, aber trotzdem ein gutes.
Foto: Elaine
NÄCHSTER ARTIKEL
Tschüss Warteschleife!
Um anonym zu kommentieren: Kommentar schreiben, Pseudonym und E-Mail in die Felder eintragen und bei "Ich möchte lieber als Gast schreiben" das Häkchen setzen.