Die Klischee-Falle
von Elaine, über Gesellschaft, Heilsam, Ungewollte Kinderlosigkeit
Die Weihnachtszeit scheint mir vor allem eines zu sein: eine riesige, verlogene Klischee-Falle kombiniert mit stupendem Kommerz. Um diesen Post ausnahmsweise mal mit etwas stärkeren Worten zu beginnen. Achtung, heute bin ich in Provozierlaune :-)!
Ist es nicht so? Weihnachten = leuchtende Kinderaugen. Heiligabend = trautes Familienglück. Erst die Kinder machen unsere Familie komplett. Und überhaupt zählt im Leben eigentlich nur die Familie. Alles andere… ist nicht wichtig. Demzufolge wäre dann die ganze Jugend und vorelterliche Lebenphase absolut sinnlos. Logischerweise. Okay - darüber stolpern wir dann doch. Aber wir wären fast darauf hereingefallen, stimmt’s?
Kürzlich sprach ich mit einem Filmemacher über Imagefilme und Werbung. Er kritisierte, dass da so oft auf Klischees zurückgegriffen wird. Aber lässt sich das wirklich vermeiden?
Überlegen wir mal: Werbung ist teuer. Jede Sekunde kostet. Wenn man eine Botschaft schnell vermitteln will, dann wählt man etwas, das möglichst klar ist. Gerne auch etwas, was überspitzt, überzogen ist, denn das verdeutlicht die Aussage. Plus: Werbung lebt von Emotionen. Mit Zahlen und Fakten bewegt man niemanden dazu, etwas zu kaufen. Es sind Emotionen, die bei den Menschen so etwas ähnliches wie eine Verbindung zu einem Produkt herstellen. So lässt sich auch erklären, warum ich mein halbes Leben lang Produkte gekauft habe, von denen ich ernsthaft glaubte, sie täten mir gut. Inzwischen weiss ich, dass sie voller schädlicher Inhaltsstoffe waren. Seither ist mir sonnenklar: Werbung ist NICHT die Wahrheit! Oder wie mal jemand gesagt hat: alles, wofür geworben wird, brauchen wir im Prinzip nicht. Krass, aber diesmal wahr.
Okay. Werbung lebt also von Emotionen. Welche positiven Emotionen können zu Weihnachten vermittelt werden? Hmmm? Jaaaa, die Antwort ist offensichtlich: Weihnachten, das Fest der Familie, der leuchtenden Kinderaugen, der Harmonie à là Friede-Freude-Eierkuchen bei Kerzenschein. Das Fest der Geborgenheit und des zuckersüssen Glücks. Ich übertreibe. Absichtlich. Weil mich das ein bisschen wütend macht. Eine andere Variante davon ist übrigens Romantik zu den Festtagen. Das kommt bei Singles besonders gut an. Habe ich selber für Euch getestet ;-). Ist aber schon ein paar Jahre her.
Natürlich überlegen sich die Werber nicht, welcher Anteil der Bevölkerung keine Kinder haben könnte (oder Single ist), weshalb, und was die familienzentrierte (wahlweise romantisierende) Werbung mit diesen anstellen könnte. Sie haben einen Auftrag für einen Kunden auszuführen und diesen zufriedenzustellen. Um etwas anderes geht es nicht. Ausser natürlich noch darum, die Verkaufszahlen damit möglichst in die Höhe zu treiben.
Manche Werbung lässt sich sehr rasch enttarnen. Wenn zum Beispiel von Glück die Rede ist, das sich mit Dingen kaufen lässt. Das durchschauen wir. Zu materialistisch. Aber sobald es um etwas geht, wovon wir selbst träum(t)en, wird es schwieriger. Weil uns Szenen vor Augen gemalt werden, die wir uns auch für unser Leben gewünscht hätten. Da sitzt der Haken dann fest. Und es tut weh. Und man fühlt sich bestätigt darin, allein mit diesem Problem zu sein - alle anderen haben ja… ne?
Ich weiss aus meiner eigenen Kindheit, dass Weihnachten auch dann nicht immer harmonisch ist, wenn Kinder da sind. Manchmal schlägt genau dann ein Magen-Darm-Virus zu. Oder es sind alle so müde, dass wunderhübsch gezickt und gestritten wird. An Heiligabend. Mhm. Alles schon erlebt. Und ich bin eigentlich sehr zufrieden mit meiner Familie! Machen wir uns nichts vor. Keine Familie ist perfekt. Wir denken nur, das Glück der anderen sei es. Weil sie das haben, was uns verwehrt geblieben ist.
Mir hat die Erkenntnis geholfen, dass Werbung keine Chance hat, wenn sie objektiv sein will. Man erreicht nichts, wenn man in diesem Bereich sachlich ist. Also kann die Werbung schlicht nicht anders als… genau so sein, wie sie eben ist. Nämlich für uns und ganz viele andere Menschen: doof. Ganz besonders in der Weihnachtszeit.
Hey, es ist nur Werbung. Man kann den Kopf auf die andere Seite drehen. Oder den Sender wechseln. Oder ein Produkt auch mal demonstrativ NICHT kaufen.
Ende der Tirade ;-).
PS: Ich mag die Weihnachtszeit. Eigentlich. Aber das hier musste auch mal gesagt sein!
Foto: Elaine
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