Ein Doppelleben
von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Abschied vom Kinderwunsch, Trauer, Leben
Letzthin nahm ich ein paar Fotoalben aus dem Regal. Mich interessierte vor allem meine Selbstwahrnehmung. Ich weiss nicht, wie es Euch geht, aber in meinem Leben war es selten so, dass ich meine Figur gerade richtig fand. Obwohl ich früher meist recht schlank gewesen war! So richtig zufrieden war ich damit eigentlich nicht. Irgendwie crazy…
Einmal kam ich von einem Fremdsprachenaufenthalt zurück und konnte keine meiner alten Hosen mehr tragen. Zum Glück purzelten in der Heimat die Pfunde recht schnell. Jetzt, neunzehn Jahre später, wollte ich wissen, ob meine heutige Figur der Auslandaufenthaltsfigur ähnlich ist oder ob es doch gar nicht so “schlimm” ist mit meinem Aussehen nach der Kinderwunschbehandlung und der Trauer. Vielleicht liegt es am Sommer und der beginnenden Badesaison, dass mich das beschäftigt? Wie auch immer…
Zur Figur konnte ich gar nicht so viel herausfinden. Von meinem Sprachaufenthalt war ich nämlich im Winter zurückgekehrt. So dick verpackt, wie ich auf den Fotos bin, kann man über die Figur nicht viel sagen. Nur, dass ich generell auch auf anderen Fotos meist besser aussah, als ich damals dachte. Schade eigentlich, dass wir Frauen uns nie so richtig wohl in unserer Haut fühlen. Oder gelingt Euch das besser als mir?
Aber halt! Ich wollte hier gar nicht über meine Figur schreiben. Bei der Durchsicht der Alben stiess ich nämlich auf Fotos aus der Behandlungszeit. Von einem Urlaub, in dem es mir nicht so gut ging; einmal mehr war die Regel eingetroffen, und da wir nicht zu Hause waren, konnte ich keinen neuen Termin in der Klinik vereinbaren, war also zu einem Pausenzyklus gezwungen. Auf den Fotos sieht es nicht so schlimm aus, wie ich mich fühlte. Was verrückt ist. Ich frage mich: wenn eine nicht eingeweihte Person dies sähe, würde sie überhaupt vermuten, was in mir drin und in unserer Ehe damals vorging? Wohl nicht.
Dann gibt es andere Fotos von einer Hochzeit. Dort erinnere ich mich sehr deutlich daran, mich während des Fests am Abend fortgeschlichen zu haben, um mir auf dem Parkplatz im Auto wie ein Junkie eine Spritze zu setzen. Ich hatte Angst, dass mich jemand entdecken würde! Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es eigentlich fast lustig. Den Fotos sieht man davon nichts an.
Dann kommen Bilder aus einem Urlaub in der Trauerzeit. Da bin ich sehr schlank, da dauernd halb krank. In meiner Erschöpfung schnappte ich fast jeden Virus auf, der herumschwirrte. Während der Hälfte des Urlaubs war mir irgendwie übel. Figurmässig sind die Fotos allerdings top :-P.
Weiter gibt es ein Foto von mir, das mich mit einem frisch geschlüpften Patenkind auf dem Arm zeigt. Das war ein Tag vor meiner Operation. Puh. Das war damals schwer für mich, das weiss ich noch sehr genau - aber auf dem Foto lächle ich. Pflichtschuldigst, denn als Patin musste ich ja mit ins Krankenhaus, und ich musste lächeln für das Foto, das der stolze Grosspapa schoss. Was für mich symbolhaft ist für viele Situationen, in denen wir ungewollt Kinderlosen lächeln, während uns das Herz bricht. Habt Ihr auch solche Fotos oder Erinnerungen?
Eigentlich habe ich jahrelang ein Doppelleben geführt, wird mir gerade bewusst. Nach aussen getan, was von mir erwartet wurde (gelächelt, Babys gehalten, zu Geburten gratuliert), während hinter der Fassade ein grosser Kampf gekämpft wurde. Bis das dann irgendwann nicht mehr klappte mit der Fassade, weil ich dafür schlicht keine Energie mehr hatte. Heute bin ich froh, ganz mich selbst sein zu können, ohne Fassade. Die hat die Trauerphase nämlich sehr gründlich weggespült!
Foto: Elaine
NÄCHSTER ARTIKEL
Zum Sinn
Um anonym zu kommentieren: Kommentar schreiben, Pseudonym und E-Mail in die Felder eintragen und bei "Ich möchte lieber als Gast schreiben" das Häkchen setzen.