Ein freudiges Wiedersehen
von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Gesellschaft, Hoffnung, Heilsam
Dieses Jahr flatterte mal wieder eine Einladung zu einem Klassentreffen in meinen Posteingang. Es ging dabei um eine Zusammenkunft aus der Primarschulzeit, mit Menschen, die ich seit mehr als einem halben Leben nicht mehr gesehen hatte. Geografisch und zeitlich ist die Distanz gross geworden. Ich entschied ziemlich rasch, dass ich es wagen wollte und meldete mich an. Nur um es zwei Tage vor der Zusammenkunft zu bereuen und wahnsinnig nervös zu werden.
Manche meiner Klassenkameraden hatten mir das Leben damals nicht nur leicht gemacht. Das war das eine. Das andere war - Ihr vermutet es vielleicht - das Thema Kinder. Ich fragte mich, wie sehr sich die Gespräche um dieses Thema drehen würden. Ob ich mich ausgeschlossen oder verkehrt fühlen würde. Aber dann beruhigte mich der Gedanke, dass über diese Wunde inzwischen doch eine solide Haut gewachsen ist und mich nicht mehr alles aus dem Konzept bringt. Ich hatte ausserdem Hoffnung, dass die Gruppe einigermassen durchmischt sein würde, weil ich im Mailverteiler gesehen hatte, dass einige ihren Mädchennamen behalten hatten. Das will nun noch gar nichts heissen, aber es deutet doch auf ein bisschen mehr Vielfalt hin und weniger 0815-“Mann, Kinder, Häuschen”… oder?
Am Ende kam es sogar noch besser als erwartet. Die Gruppe war tatsächlich sehr durchmischt: Verheiratete, Väter und Mütter, ja, von denen hatte es einige. Aber mein Kindheitsschwarm ist zum Beispiel derzeit Single. Einige andere haben zudem keine Kinder. Zwei hoffen darauf, dass es noch klappt und sprachen interessanterweise sehr offen darüber. Eine ehemalige Klassenkameradin ist mit einem Mann zusammen, der keine Kinder will oder haben kann - so genau weiss ich es nach den vielen Gesprächen an dem Abend ehrlich gesagt gar nicht mehr. Sie kann aber gut damit leben und hatte viel Spannendes aus ihrem Berufsleben zu erzählen. Die Stimmung war grundsätzlich von Wohlwollen und aufrichtigem Interesse geprägt. Die Kinderfrage wurde mir natürlich mehrmals gestellt. Aber niemand hakte auf unangenehme Weise nach oder wollte mir irgendwie sinnlos Hoffnung machen. Ich durfte so sein, wie ich bin. Was nicht nach viel klingt, aber sehr viel ist. Ich hatte kein einziges Mal das Bedürfnis, jemanden aufzuklären. Wow!
Es wurde irgendwann lustig und sehr laut. Wir machten ein Klassenfoto in genau der Formation wie damals. Ich sass dabei meiner ehemaligen Kontrahentin praktisch auf dem Schoss. Und ich ging viel später nach Hause als ursprünglich vorgesehen.
Warum schreibe ich das? Weil ich Euch Mut machen möchte. Manchmal macht es Sinn, sich zu schützen - das tat ich vor ein paar Jahren auch. Aber hin und wieder kann es auch gut sein, über seinen eigenen Schatten zu springen. Und zu merken, dass Erwachsene doch auch ganz zivilisiert und respektvoll miteinander umgehen können. Weil in all den Jahren wohl fast jeder das eine oder andere Päckchen zu tragen bekam. Für mich jedenfalls war dieser Abend heilsam - in mehr als nur einer Hinsicht.
Foto: Elaine
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