Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Mittwoch

10

Mai 2017

Eine berühmte Lyrikerin

von Elaine, über Vorbilder, Gesellschaft, Frauen ohne Kinder

Eine der berühmten deutschsprachigen Frauen ohne Kinder ist Hilde Domin. Sie wurde 1909 in Köln geboren und starb 2006 in Heidelberg. Als Jüdin verbrachte sie 22 Jahre im Exil: zuerst in Italien, dann in England und später in der Dominikanischen Republik. Dort begann sie zu dichten. Als sie nach Deutschland zurückkehrte, veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband “Nur eine Rose als Stütze”. Kinderlos blieb sie einerseits, weil ihr Leben jahrelang derart bedroht war, dass es für sie ganz und gar nicht in Frage kam, Kinder dieser Gefahr auszusetzen. Andererseits wollte auch ihr Mann keine Kinder. Ich habe mir kürzlich den Dokumentarfilm Ich will dich über Hilde Domin angesehen und war betroffen, weil das Ganze offensichtlich für sie sehr, sehr schwer gewesen sein muss.

Hilde Domin sagt von sich, die Sprache, das Schreiben wären ihre Rettung gewesen in einer Zeit, in der sie dem Selbstmord nahe gewesen sei. Dass man sich durch das Schreiben ein Stück weit von den Dingen befreien kann, ist auch meine Erfahrung. In dem Sinne fühle ich mich mit ihr verbunden. Hier findet Ihr ein altes Interview mit ihr.

Diese grosse Dichterin ist für mich in dem Sinne ein Vorbild, als dass ihr Leben sehr schön zeigt, wie wichtig auch (oder gerade) kinderlose Frauen für unsere Gesellschaft sind. Wir mögen es als Misserfolg ansehen, keine Kinder bekommen zu können, fühlen uns deshalb vielleicht etwas minderwertig und werden gar manchmal von Politikern als Egoistinnen abgestempelt, die nicht unseren Beitrag zur Zukunft unserer Länder erbringen. Dies stimmt jedoch so überhaupt nicht. Hilde Domin hat wundervolle Lyrik geschaffen, in der sich ganz viele Menschen unabhängig von Bildungsstand und Gesellschaftsschicht wiederfinden, noch heute. Ihre Gedichte bleiben. Sie trösten. Und - ich finde, das ist etwas ganz Grosses - sie brachten Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ein Stück Versöhnung mit der “Sprache der Täter”. Hilde Domin hat ganz allgemein und doch konkret zum Reichtum der deutschen Kultur beigetragen. Sie hat Spuren hinterlassen, auch wenn sie sich selbst nicht immer als sehr nütze betrachtete, wie folgendes Gedicht zeigt:

Wie wenig nütze ich bin

Wie wenig nütze ich bin,
ich hebe den Finger und hinterlasse
nicht den kleinsten Strich
in der Luft.

Die Zeit verwischt mein Gesicht,
sie hat schon begonnen.
Hinter meinen Schritten im Staub
wäscht der Regen die Straße blank
wie eine Hausfrau.

Ich war hier.
Ich gehe vorüber
ohne Spur.
Die Ulmen am Weg
winken mir zu wie ich komme,
grün blau goldener Gruß,
und vergessen mich,
eh ich vorbei bin.

Ich gehe vorüber -
aber ich lasse vielleicht
den kleinen Ton meiner Stimme,
mein Lachen und meine Tränen
und auch den Gruß der Bäume im Abend
auf einem Stückchen Papier.

Und im Vorbeigehn,
ganz absichtslos,
zünde ich die ein oder andere
Laterne an
in den Herzen am Wegrand.

(Hilde Domin)

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

Um anonym zu kommentieren: Kommentar schreiben, Pseudonym und E-Mail in die Felder eintragen und bei "Ich möchte lieber als Gast schreiben" das Häkchen setzen.


Copyright 2016 by Elaine