Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Montag

19

September 2016

Frau sein

von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Heilsam, Reproduktionsmedizin

Bei diesem Thema muss ich erst mal Luft holen. Ein- und Ausatmen. Weil es tief geht. Bin ich eine richtige Frau, wenn ich nicht Mutter sein kann? Bin ich dann überhaupt feminin? Oder bin ich nur eine halbe Frau? Diese Frage tauchte in den letzten Jahren immer mal wieder in meinen Gedanken auf, manchmal deutlich, manchmal verschleiert oder versteckt. Wozu habe ich denn all diese Organe, wenn sie ihren Zweck gar nicht erfüllen? Bin ich eine Frau zweiter Klasse?

Als ich nicht schwanger wurde, hat das etwas mit mir gemacht. Mit meiner Weiblichkeit, meiner Wahrnehmung von meinem Körper. Während ich zuvor bemüht darum gewesen war, schlank zu sein und einen flachen Bauch zu haben, machte mich die fehlende Rundung in meiner Körpermitte irgendwann nur noch traurig. Was ich vorher schön fand, begann mich zu stören. Meine Identität bekam einen Knacks: ich war nicht dienige, die ich zu sein glaubte. Ich war ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass ich eines Tages Mutter würde. Das Mutter-Sein war für mich Teil des Frau-Seins. Nun stimmte meine Vorstellung vom Frau-Sein nicht mehr überein mit meiner Wirklichkeit.

Irgendwann kam die Operation. Das macht nochmal was ganz anderes mit so einem Frauenkörper. Man ist geschunden, die Intimsphäre ein bisschen angegriffen. Es war mein erster Krankenhausaufenthalt, und auch emotional musste ich mich davon erst erholen. Von der Diagnose. Von der ganzen Erfahrung einer Operation. Danach konnte ich lange viele Kleidungsstücke nicht mehr tragen, weil sie zu sehr auf die Narben drückten. Keine engen Sachen. Ich ging in weiten Hosen und langen Oberteilen zu Partys, trug zu Hause Flatterkleider, schnitt den Gummizug der Unterhosen ein, damit sie nicht drückten, und fühlte mich dabei alles andere als hübsch oder weiblich.

Darauf folgte die Kinderwunschbehandlung. Sie bescherte meinem Bauch eine Wölbung, aber nicht diejenige, nach der ich mich gesehnt hatte. Vor allem abends sah ich manchmal aus, als wäre ich mindestens im vierten oder fünften Monat schwanger. Das störte mich. Ich fand es fies, dass ich schwanger aussah, aber nie auch nur das kleinste bisschen schwanger wurde. Dafür zierten blaue Flecken meine Oberschenkel (die Spritzen lassen grüssen), so dass ich mich im Sommer nicht gerne im Bikini zeigte. Und die Stimmungsschwankungen sind sowieso nochmal ein ganz anderes Kapitel.

Nun liegt all das hinter mir. Ich trage wieder, was ich will. Die Narben sind zumindest äusserlich gut verheilt. Ich habe ein paar Pfund mehr auf den Rippen als davor. Was mich früher - vor dem Kinderwunsch - gestresst hätte, macht mir jetzt weniger aus. Ich möchte zwar längerfristig gerne etwas abnehmen. Ein Geschenk meines Abschieds vom Kinderwunsch ist jedoch, dass ich meinen Körper jetzt besser annehmen kann, obwohl er dem Schönheitsideal viel weniger entspricht als noch vor ein paar Jahren. Obwohl die Operation, die mir zu Kindern hätte verhelfen sollen, eine Anpassung meiner Ernährung nötig machte, bis heute. Meine Verdauung ist nie wieder so geworden wie davor.

Ich musste mich nach der Kinderwunschbehandlung wieder mit meinem Körper versöhnen. Mit dem Zwicken mancher inneren Operationsnarben, das geblieben ist, mit den neuen Macken des Darms. Musste wieder lernen, mich weiblich zu fühlen, trotz allem. Das brauchte Zeit. Was mir dabei half, waren einmal mehr Bewegung und frische Luft. Sie taten Körper und Seele gut.

In meinem Abschied vom Kinderwunsch lernte ich nicht nur, meine Gefühle anzunehmen. Ich lernte auch, mich selbst zu lieben, Körper inklusive. Dieser weibliche Körper ist alles andere als perfekt. Aber er ist der einzige, den ich habe. Und ich bin dankbar für alles, was er für mich tut. Abgesehen von dem einen, was ich mir gewünscht und nicht bekommen habe, nämlich doch eigentlich unheimlich viel.

Inzwischen kann ich sagen: Ich bin ganz Frau. Auch ohne Kind. Ich war ganz Frau, bevor ich aktiv versuchte schwanger zu werden, und ich bin es auch jetzt, nachdem ich wieder mit dem Versuchen aufgehört habe. Ich bin ich. Elaine. Weiblich und hundertprozentig Frau.

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

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