Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Samstag

24

September 2022

Grosse kleine Dinge

von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Hoffnung

Ihr Lieben,

wie es Euch wohl geht?

Hier ist es plötzlich sehr herbstlich geworden mit richtig kalten Nächten. Von einem Tag auf den anderen hiess das Sandalen wegräumen und warme Schals hervorkramen. Ich mag ja den Herbst, sehr sogar, aber dieses Jahr kam der Wechsel gar abrupt! Nun ja. Ich habe trotzdem vor, diese Tage zu geniessen :-).

Heute möchte ich von zwei Begebenheiten berichten, die eigentlich ganz klein sind, aber für mich vor dem Hintergrund der ungewollten Kinderlosigkeit doch sehr gross.

Bis vor zehn Jahren, das heisst, bevor wir umzogen, arbeitete ich für einen ganz tollen Chef. Wir freundeten uns ein Stück weit an und sind über all die Zeit im Kontakt geblieben. Seine Frau und er sind leider ebenfalls ungewollt kinderlos. Er ging recht offen damit um, vielleicht auch, weil er deutlich älter ist und bereits etwas Abstand dazu gewonnen hatte. Während der tiefsten Trauer – da wohnte ich bereits weiter weg und arbeitete nicht mehr für ihn – schrieb er mir fast jedes Wochenende eine Mail. Schickte mir Fotos von ihm, seiner Frau und ihrem Hund. Das, obwohl er einen fordernden Beruf hat und gerade in dieser Zeit sehr ausgelastet war. Ich wunderte mich einerseits darüber und wusste andererseits dieses An-Mich-Denken auch sehr zu schätzen.

Dieser frühere Vorgesetzte ist nun im Pensionsalter. Vor einigen Monaten nahmen seine Frau und er eine Ukrainerin auf. Eine schwangere Frau, die inzwischen ihr Kind geboren hat. Ich bewundere das, denn ich bin nicht sicher, ob ich, selbst nach all den Jahren, mit einer hochschwangeren Frau oder einem Neugeborenen im selben Haushalt leben möchte! Diese ständige Konfrontation mit dem, was mir verwehrt blieb, ginge mir vermutlich noch immer zu nah. Sie aber schaffen das und kümmern sich rührend um ihre neuen Familienmitglieder auf Zeit. Als das Foto aus dem Krankenhaus kam mit Baby, Mutter und den schweizerischen Ersatzgrosseltern, musste ich weinen. Wohl eine Kombination aus Kriegskontext und Wissen um die Geschichte der Gastgeber. Es waren Tränen der Rührung, nicht der Trauer. So schlimm die Situation in der Heimat dieser Frau ist: besser als bei diesem Gastgeberpaar könnte sie es nicht treffen. Sie durfte vor der Geburt sogar ein paar Tage mit ihnen in die Ferien fahren.

Die zweite Begebenheit war eine noch persönlichere. Wie Ihr wisst, habe ich Endometriose. Meine kleinste Schwester leider ebenso, sogar noch schlimmer als ich. Zum Glück war sie zum Zeitpunkt der Diagnose deutlich jünger als ich damals. Das verbessert die Chancen auf eine Schwangerschaft. Trotzdem war ich besorgt. Ich wollte nicht, dass sie den gleichen Weg gehen muss wie ich. Klar hätte sie schlimmstenfalls mich an ihrer Seite gehabt. Ich hätte sie wenn nötig begleitet und nach Kräften unterstützt. Trotzdem ist diese Erfahrung nichts, was man anderen wünschen würde, schon gar nicht jemandem, der einem nahe steht.

Nun kam letzten Samstag der Anruf: sie ist schwanger. Auf natürlichem Wege. Ich weiss nicht, ob ich mich jemals so sehr über eine Schwangerschaft gefreut habe. Ich glaube nicht. Da war nur Aufregung. Und Glück. Ich kann es kaum erklären. Es ist ein wenig, als wäre meine Schwester an meiner Stelle schwanger. Was sie natürlich de facto nicht ist. Es ist ihr Körper, ihre Schwangerschaft und ihr Kind. Trotzdem bin ich unglaublich dankbar dafür, dass ihr der belastende Weg einer Kinderwunschbehandlung oder gar des Abschieds vom Kinderwunsch erspart bleibt. Dankbar auch dafür, dass die Trauer um meine Kinder, die niemals sein werden, durch ihre Schwangerschaft nicht mehr getriggert wird.

Die Zeit hilft. Sie macht nicht alles gut, aber vieles besser. Ich schreibe dies für diejenigen, die vielleicht gerade noch mitten in der tiefsten Trauer stecken. Es gibt Hoffnung!

Nun interessiert es mich natürlich zu hören, wie es Euch mit diesen Themen geht. Ist es schwierig für Euch, mit Schwangerschaften und Neugeborenen konfrontiert zu werden? Oder könnt Ihr Euch inzwischen auch etwas darüber freuen?

Herzlich,
Eure Elaine

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

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