Küchengeschichten
von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Abschied vom Kinderwunsch, Trauer, Heilsam
Zum heutigen Text hat mich Phoenix aus den USA inspiriert. Ihr Blogpost zum Thema Neuanfänge und Kochen hat mich so berührt, dass ich wusste: darüber will ich ebenfalls schreiben.
Es gibt da nämlich einige Parallelen. Ich übersetze die ersten Sätze aus Phoenix’ Post: “Die ungewollte Kinderlosigkeit hat mich vieler Dinge beraubt: der Freude, der Energie, mancher Freundschaften, der Lust, Aktivitäten auszuüben, die ich früher mochte. Mich von der ungewollten Kinderlosigkeit zu erholen, bedeutet nicht nur, mich von der Enttäuschung (vom Trauma) zu erholen, dass ich nie die ersehnten Kinder haben werde, sondern von allen anderen Verlusten, die die ungewollte Kinderlosigkeit mit sich gebracht hat.”
Ich finde, da ist etwas dran. Bei jedem wird es ein wenig anders sein, aber grundsätzlich durchdringt das Thema Kinderlosigkeit fast jeden Lebensbereich. Ich hatte zeitweise sehr den Eindruck, dass mir durch meine Kinderlosigkeit auch andere Dinge verwehrt blieben. Zum Beispiel vertrug ich die vielen Schwangerschaften und kleinen Kinder im Umfeld schlecht, was natürlich Auswirkungen auf mein Sozialleben und dadurch auf gewisse Freundschaften hatte. Ich war ausgeschlossen. Konnte nicht mitreden. Und nicht nur im Zwischenmenschlichen gab es diese Verluste. Die Kinderwunschzeit und Trauer hatten mich erschöpft. Im Sinne von… null Energie. Es reichte noch knapp für das Nötigste. Und ich hatte überhaupt keine Lust auf Dinge, die mir normalerweise Spass machen. Ich musste mich sogar dazu zwingen!
In diesem Text hier soll es lediglich um einen kleinen, wenn auch symptomatischen Teilaspekt des ganzen Komplexes gehen, aus meiner persönlichen Sicht. Vielleicht könntet Ihr eine solche Geschichte aus einem ganz anderen Bereich erzählen?
Vor der aktiven Kinderwunschzeit kochte ich gerne, genau wie Phoenix. Ich war mehr Alltags- als Gourmetköchin, aber immerhin. Ich interessierte mich für gesunde Ernährung und kombinierte Altbewährtes auch gerne mal mit Neuem. Im Prinzip war ich ziemlich gut organisiert, so im Nachhinein gesehen. Was ich einkaufte, assen wir in der Regel auch. Dass wir etwas wegwerfen mussten, kam eigentlich kaum vor.
Vielleicht ahnt Ihr es schon: das änderte sich gewaltig, als wir uns in Behandlung begaben. Vermutlich fing es mit meiner Operation an. Von da an war ich geschwächt. Körperlich, aber auch emotional. Von dieser Operation habe ich noch heute ein paar Lebensmittelunverträglichkeiten, was das Kochen nicht einfacher machte. Vieles, was ich früher standardmässig gekocht hatte, fiel sozusagen aus unserem Sortiment. Alles mit Weizen, Milch und Sahne. Das klingt nicht nach viel, IST aber viel.
Es kam vor, dass ich Gemüse kaufte, weil ich etwas Gesundes für uns zubereiten wollte. Aber dann fehlte mir einfach die Energie… und das Gemüse gammelte vor sich hin, bis es irgendwann in der Mülltonne landete. Es gab eine Phase, da geschah das so oft, dass mich das stresste. Weil ich da sinnlos Ressourcen verschwendete, währenddem andere Menschen auf der Welt nicht genug zu essen hatten. Aber ich war einfach so müde. Ich wusste nicht, was ich kochen sollte. Oder ich kochte immer das Gleiche. Oder überhaupt nichts. Oder ich raffte mich auf und kochte etwas, und dann waren wir an den folgenden Tagen viel zu wenig zu Hause, um die Resten rechtzeitig aufbrauchen zu können. Nun ja. Ein Minimum an Mahlzeiten gab es schon. Immer mal frische Suppen oder Eintöpfe im Winter und einfache Salate im Sommer. Pasta geht ja auch ganz fix - zum Glück gibt es inzwischen auch leckere Dinkelteigwaren. Im Zweifelsfall kann sich mein Mann von Müsli ernähren. Und ich von einem gekochten Ei und einem Stück (Dinkel-)Brot. Verhungert sind wir nicht. Aber wirklich abwechslungsreich war unsere Kost zu Hause nicht. Für Gäste mochte ich erst gar nicht kochen. Oder die Wohnung aufräumen. Das lag nicht drin.
Mein Mann hat das Ganze rückblickend mal ein “Leben im Notfallmodus” genannt. Und das war es ein Stück weit auch. Die Kraft war auf anderes fokussiert. Zuerst auf die Behandlung. Dann auf die Trauer und das “Überleben” dieser schwierigen Zeit. Einerseits rechtfertigte das “Überleben” natürlich, dass ich nicht den kreativsten Kochlöffel schwang. Andererseits blieb bei mir doch auch ein gewisses Unbehagen und ein Gefühl der Unzulänglichkeit. Oder gar des Versagens? Weil manche Frauen erwerbstätig sind, zwei Kinder haben UND daneben noch den Haushalt schmeissen und fein kochen. Während ich… naja, nur für uns beide sorgen musste, und das war doch nicht so viel? Es WAR viel, jedenfalls zu gewissen Zeiten. Dieses Gefühl der Unzulänglichkeit war mir lange nicht bewusst. Bis ich den oben verlinkten Text von Phoenix las. Da kamen diese Gefühle hoch. Ja, ich fühlte mich auch “lahm” oder “schwach”, weil mir die Energie zum Kochen fehlte, während andere dies scheinbar spielend nebenher schafften.
Kürzlich besuchte uns ein Paar, das mein Mann durch die Arbeit kennt. Es war ein spannender und inspirierender Abend. Unter anderem erfreuten sich die beiden an den Kochbüchern in unserem Regal: sie haben nämlich dieselben. Mit dem grossen Unterschied, dass diese bei ihnen in regem Gebrauch sind. Ich hatte sie damals vor allem wegen meiner Unverträglichkeiten gekauft, aber dann fehlte mir… richtig: die Energie. Von insgesamt drei Kochbüchern muss ich sagen, dass ich aus zweien je ein Rezept ausprobiert habe und aus dem dritten nicht mal ein einziges. Ich erklärte unserem Besuch, dass Kochen und Neues-Ausprobieren in letzter Zeit keine Priorität gehabt hätten. Dabei kam ich mir unterschwellig etwas blöd vor, merkte das aber nicht mal gleich. Ich muss dazu sagen, dass andere in meinem Umfeld nicht nur gesund und gut kochen, sondern sich teilweise auch sehr bemühen, ein nachhaltiges Leben zu führen, indem sie zum Beispiel in Unverpackt-Läden einkaufen oder solchen Läden, wo es krumm gewachsene Möhren und dergleichen gibt, die sonst entsorgt würden. Sie backen ihr Brot selbst. Sie haben ein Gemüse-Abo vom Bauern in der Nähe. Und benutzen keinen Plastik. Alles super, nur mir fehlte in den letzten Jahren für genau solche Dinge die Energie. Ich bin froh, wenn ich auf herkömmliche Weise den Einkauf bewältige, den Kühlschrank fülle und uns einigermassen ausgewogen ernähre. Ein Teil von mir findet es okay, nur das zu machen, was ich eben kräftemässig auch kann. Zumal ich ja arbeite und mich nebenher noch weiterbilde. Ein anderer Teil von mir verspürt aber doch ein schlechtes Gewissen.
Von Phoenix zu lesen, dass sie vorletztes Wochenende zum ersten Mal seit vier Jahren den Ofen wieder in Betrieb genommen hatte (nach zwei Jahren intensiver beruflicher Weiterbildung, noch eine Parallele ;-)), löste unheimlich viel bei mir aus. Obwohl es bloss um so eine Banalität wie Kochen geht! Interessant, nicht? Ich schickte den Link zum Text meinem Mann mit der Frage: Kommt dir das irgendwie bekannt vor? Oh ja, das tat es. Er nahm mich in den Arm und ich weinte. Nach all den Jahren, den vielen Blogtexten und Gesprächen, zu einem Zeitpunkt, an dem ich mich zu fragen begann, ob ich inskünftig noch genügend Themen finden würde, über die ich schreiben könnte, genau da löste sich (erst) dieser spezifische Knopf.
Lange Rede, kurzer Sinn: wir sind nicht allein. Oder lahm. Oder schwach. Weil wir nicht kochen mögen. Oder putzen. Oder im Unverpackt-Laden einkaufen. Ja, ich habe mich tatsächlich blöd gefühlt. Und vielleicht ist das nur zu menschlich. Aber anscheinend bin ich doch nicht ganz so verkehrt, wie ich dachte. Weil es auch anderen so geht. Einmal mehr ;-). Danke, Phoenix, dass du so offen darüber geschrieben hast!
PS: Inzwischen kochen wir hin und wieder für Gäste. Und ich probiere auch mal was Neues aus. Bisher nur noch nicht aus den besagten Kochbüchern…
Foto: Elaine
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