Räume
von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Abschied vom Kinderwunsch, Trauer, Hoffnung
Die Tage, Termine und Aufgaben drängen sich in meinen Kalender. Ich bin müde. Fast lasse ich das Bloggen bleiben. Aber dann kommt mir in den Sinn, dass es manchmal hilft, die Gedanken, die mir durch den Kopf flitzen, irgendwo festzuhalten. Schreiben ist auch immer sortieren, veräussern und kann dadurch erleichternd wirken.
Was gerade Raum einnimmt: meine Lohnarbeit, da Anfang Juni gleich zwei mehrtägige Anlässe parallel stattfinden, die ich organisiere. Mein kleines Teilzeitpensum reicht dafür nicht aus; ich arbeite also an zusätzlichen Tagen. An den Ateliertagen helfe ich teilweise meinem Mann, weil er mich um Unterstützung gebeten hat. Er ist am Anschlag mit vielem. Auch der Garten nimmt Raum ein, wann immer es mal nicht regnet und ich zu Hause bin. Der Mai ist gartentechnisch ein wunderschöner Monat. Akelei, Fingerhut, Iris und Lupine blühen. Es ist aber auch die Zeit, in der sich der Garten in einen Dschungel verwandelt. Alles wächst und gedeiht, besonders, wenn wie im Moment Sonne und Regen sich abwechseln. An einem trockenen freien Tag kann man mich daher in den Garten rennen und energisch jäten sehen ;-).
Was noch Raum einnimmt: dass mein Mann so viel arbeitet. Im Moment praktisch Tag und Nacht, am Wochenende und an Feiertagen. Oft sind wir beide müde. Dann achte ich sorgfältig auf meine Prioritäten. Denn das sind die Phasen, die gefährlich sind. Die Ehekrise ist noch nicht lang überstanden. Ich bleibe vorsichtig. Es ist nicht wichtig, dass die Wohnung perfekt geputzt ist. Wichtiger ist, dass wir uns immer mal wieder in den Arm nehmen und uns sagen, dass wir uns gern haben.
Da sind noch andere Räume. Raum für Trauer zum Beispiel. An der Beisetzung der Tochter meiner Freundin erinnerte ich mich an die Beerdigung des Grossvaters meines Mannes im 2016 und daran, wie sehr ich mich damals geschämt hatte, weil ich so heftig weinen musste, währenddem das sonst niemand tat. Der Grossvater hatte mir nicht nahegestanden. Er war im hohen Alter verstorben. Zum Weinen gebracht hatte mich das Musizieren meines Mannes zusammen mit seinen Cousins. Ich realisierte auf einen Schlag, dass an meiner Beerdigung keine Nachkommen die Feier mitgestalten würden. Die Psychologin fand es gut, dass ich hatte weinen können. Sie sah solche “Ventile” als etwas Positives. Ich schämte mich nur.
Ende April, an der Urnenbeisetzung der kleinen L. im Garten meiner Freundin, weinte ich ebenfalls. Neben mir stand die Patin der Verstorbenen. Auch sie wischte sich die Tränen aus den Augen. Ich erfuhr erst später, dass sie ein Kind tot geboren und dieses ebenfalls auf dem Hof seine letzte Ruhe gefunden hatte. In der Schweiz darf die Asche auf Privatgrundstücken beigesetzt werden, wie ich neuerdings weiss. So weinte die Patin um das Patenkind, aber vielleicht auch ein wenig um ihr eigenes Kind. Und ich weinte um L., aber ebenfalls um unser Pünktchen, das letztes Jahr unerwartet gekommen und gegangen war. Natürlich war ich vor allem wegen meiner Freundin da. Um ihr beizustehen in diesem schwierigen Moment. Um präsent zu sein. Das war wichtig. Inzwischen glaube ich, dass viele Menschen an Beerdigungen weinen, weil es bei ihnen etwas auslöst, was im engeren Sinne nichts mit der Person zu tun hat, um die es eigentlich gerade geht. Weil sie sich vorstellen, wie es wäre, wenn ihr eigenes Kind gestorben wäre, zum Beispiel. Oder weil es an alte Trauer rührt.
Ich kann das jetzt so stehen lassen. Es ist okay. Ich schäme mich nicht mehr. Und das ist wohl ein Zeichen dafür, dass ich ein Stück Weg zurückgelegt habe. Mir selbst vielleicht mit mehr Verständnis und Nachsicht begegne. Für mich ist das etwas ziemlich Grosses. Wie hart und unnachgiebig war ich früher mit mir selbst gewesen!
Meine Kinder haben kein Grab. An der Beisetzung von L. wurde mir bewusst, dass so ein äusserlich sichtbarer Ort hilfreich sein kann. Für mich war es die erste Beerdigung eines Kindes. Sie war ganz anders als jede Beerdigung, die ich davor erlebt hatte. Alles war sehr viel bunter und interaktiver. Das Grab unter dem frisch gepflanzten Birnbaum steht für mich mehr für meine eigenen ungeborenen Kinder, als es je ein anderes Grab hätte tun können.
Zum Schluss komme ich zurück auf physische Räume: das leer gebliebene Kinderzimmer, das mich vor neun Jahren so traurig machte. Wie mein Mann mich nach anderen Träumen fragte, online nach einem Bild von einem wunderschönen Atelierraum suchte und dieses dann an die Wand des Kinder-/Gästezimmers klebte. Rückblickend war das der Anfang der Trendwende. Ich konnte den Fokus nach und nach von dem, was ich nicht haben konnte, lösen und auf etwas Neues richten. Mein Leben hat sich seither sehr verändert. Schritt für Schritt. Es gelang mir, mich neu zu orientieren.
Mein Leben ist voll. Erfüllt. Gerade letzte Woche durfte ich wieder eine Vernissage einer Künstlerfreundin besuchen. Ich kann es manchmal fast nicht glauben. Dass mein Leben nun so ist. Dass ich so tolle Menschen in meinem Leben haben darf, die mich sehen wollen und mir sogar sagen, dass sie mich lieb haben. Welch ein Privileg! Mein Leben, mein Umfeld sind ganz anders als ursprünglich geplant. Und dennoch genau richtig.
Das hier ist ein müder Text. Hoffentlich ist er nicht zu wirr geraten. Aber das sind die Gedanken, die mir zwischen all dem vielen, was in letzter Zeit war, durch den Kopf gingen.
Wie geht es Euch?
Und welche Gedanken beschäftigen Euch?
Foto: Elaine
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