Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Dienstag

27

Juli 2021

Sommerbericht

von Elaine, über Leben, Sabbatical, Selbstfürsorge

Die Zeit vergeht. Und mein Sabbatical ebenso. Daher kommt hier mein zweiter Bericht für Euch :-)!

Wenn ich im Vorfeld nach der geplanten Länge meiner Auszeit gefragt wurde, war meine Antwort immer: sechs bis zwölf Monate. Insgeheim ging mein Verstand jedoch davon aus, dass ich vielleicht bereits nach drei Monaten wieder eine Stelle suchen würde. So sehr sind wir es uns gewohnt, eingebunden und auf Zack zu sein! Irgendwann im Juni wurde mir jedoch bewusst, dass mein Sabbatical wohl eher ein Jahr dauern würde als ein halbes.

Ich brauch(t)e länger. Für alles. Fürs Gut-Schlafen-Lernen. Oder fürs Dauerhaft-Gut-Schlafen, müsste ich vielleicht sagen. Fürs entspannte Verdauen. Und fürs Nicht-Mehr-Gestresst-Fühlen. Denn, wie mein Mann treffend sagte: Mit dem Beginn meines Sabbaticals hatte ich den äusseren Druck ausgeschaltet, aber nicht den inneren. Es gab durchaus faule Tage, vor allem dann, wenn ich doch wieder schlecht geschlafen hatte und mir die Energie fehlte. Aber an munteren Tagen wurde mir bewusst, wie getrieben ich im Grunde war. Es gab immer ein Fenster zu putzen oder etwas im Garten zu tun. So hatte ich jahrelang funktioniert. Immer das Nächste erledigt und dann wieder das Nächste. Pflichtbewusst. So fühlte sich mein Sabbatical denn auch nicht immer genussvoll an. Obwohl mein Mann und ich ausdrücklich besprochen hatten, dass es nicht Ziel des Sabbaticals sein konnte, dass ich zur perfekten Hausfrau mutierte! Da waren dennoch Pflichten. Weniger natürlich. Die “Mental load” der Arbeitsstelle entfiel, eine Erleichterung! Aber die private blieb bestehen. Bei aller Gleichberechtigung: Die Aufgaben im Haushalt scheinen mich aktiver anzuspringen als meinen Mann, und ich habe noch nicht herausgefunden, wie ich mich dauerhaft dagegen wehren kann. Aufschieben kann ich, aber dann sitzen sie in meinem Hinterkopf, bis ich sie erledige. Das will ich eigentlich nicht. Ich möchte in meinem Kopf genauso frei davon sein wie mein Mann (der übrigens wöchentlich Staub saugt, Klo putzt und 60°-Wäsche erledigt). Vielleicht habt Ihr ja einen Tipp?

Am entspanntesten war ich immer, wenn ich ein paar Tage weg war. Ich hatte Ende Juni nochmal das Glück, mit meinem Mann für drei Nächte an einen Schweizer See fahren zu können. Das war für mich etwas vom Erholsamsten. Auf dem Steg sitzen, mit den Beinen baumeln und auf den See blicken. Lesen. Spazieren gehen. Eine kleine Radtour unternehmen. Etwas Einfaches kochen. Oder auswärts essen. Fertig.

Was den Garten anging, so verbrachte ich dort deutlich weniger Zeit als erhofft. Es war lange kalt gewesen und danach sehr nass. Wenn es mal nicht regnete, rannte ich nach draussen, um dieses Zeitfenster zu nutzen und zu jäten. Die Schneckenplage war gross. Mein Gemüsebeet brauchte drei Anläufe. Im ersten Anlauf überlebten im gesamten Beet sage und schreibe drei Bohnenpflanzen. Selbst die an der Hauswand gesäten Pflänzchen auf dem Sitzplatz (Versuch Nr. 2) wurden abrasiert. Aber da ging es nicht nur mir so. Meine Nachbarin sammelte im Frühsommer jeden Tag die Schnecken in ihrem Garten ein. Zweimal täglich. Es waren viele. Einmal fand sie 30 Schnecken auf einer einzigen Pflanze. Dafür mussten wir kaum bewässern ;-). Mein Gartengenuss war eher punktuell. Ja, ich sass auch mal unter der Trauerweide und las. Aber es war recht selten.

Wir wissen alle, dass es oft anders kommt, als man denkt. Gutes gibt es trotzdem. Vieles hätte ich ohne Sabbatical nicht getan. Ich habe Neues ausprobiert. Nahm spontan an einer Online-Schreibwerkstatt teil. Arbeitete zum ersten Mal mit grossen Brocken Speckstein und Linolplatten. Das Resultat war nicht perfekt, doch die Arbeit daran bereitete mir Freude. Das Beste an den letzten Wochen und Monaten aber war eigentlich, dass ich es mir gestattete, meiner Sehnsucht zu folgen. Den kleinen Hinweisen nachzugehen, die mein Herz mir gibt, wenn ich inspirierende Menschen entdecke und denke: “So möchte ich auch leben!” Im Moment versuche ich mich in winzigen Schritten in genau diese Richtung zu bewegen. Etwas Kleines und doch sehr Grosses für mich.

Im Leben gibt es Auf und Abs. Nicht nur im Alltag, auch im Sabbatical. Gute Phasen und schlechtere Phasen. Ich glaube, wir haben da manchmal unrealistische Vorstellungen. Dass ein Sabbatical “alles gut” machen würde zum Beispiel. Wir vergessen dabei, dass wir uns selbst mitnehmen mit allem, was da eben zwickt. Ich habe mich in der Vergangenheit grossem Stress ausgesetzt. Jetzt braucht es halt auch etwas Zeit, um diesen wieder loszuwerden. Von verschiedenen Seiten hörte ich, dass es für eine gründliche Erholung ein halbes Jahr brauchen kann. Das beruhigte mich ein wenig. Natürlich hoffe ich, dass ich Ende August dann von mir sagen kann, dass ich mich auch wirklich erholt fühle ;-).

Weiterhin gehe ich zur Massage und in die Atemtherapie. Letztere macht mir meine Fortschritte dennoch bewusst. Es gibt immer wieder neue Worte, die mich dabei begleiten. “Selbstverständlichkeit” war das letzte vor den Sommerferien. Sich selbst verstehen. So hatte ich dieses Wort zuvor nie betrachtet. Irgendwie berührte es mich. Im Reinen sein mit sich selbst. Das bin ich heute mehr als früher, aber ich wäre es gerne noch mehr.

In diesem Sinne möchte ich einen Text von Christa Spilling-Nötker mit Euch teilen:

Wer möchte es nicht gern zu fassen kriegen,
das Leben, das Glück, endlich die Gewissheit verspüren,
angekommen zu sein im Land der Lebensträume,
dankbar Ja sagen zu können zu dem,
was geworden ist im Laufe der Zeit?
Aber das Bleiben ist uns nicht bestimmt.
Abschied und Umbruch treiben uns immer wieder
in Zeiten der Unruhe, in denen wir uns heimatlos fühlen.
Immer neue Bereiche wollen von uns erobert,
unerschlossene Räume in uns selbst
behutsam aufgespürt werden, um uns mit der in ihnen angelegten Fülle zu bereichern.
Wir bleiben Suchende und Werdende ein Leben lang.
Im Unterwegssein zu uns selbst finden wir heim.

Zufriedenheit im Unterwegssein zu uns selbst – das wäre doch was :-)! Findet Ihr nicht?

Das kleine Glück gibt es natürlich immer. Unsere Lebensumstände mögen gerade schwierig sein, aber es gibt immer Dinge, für die wir dankbar sein können. Selbst wenn wir sie suchen müssen. Das habe ich damals in der akuten Trauerphase geübt, und ich fand es sehr lohnend. Hier kommt meine Sabbatical-Sommerglücksliste:

  • herrliche Sonnenuntergänge (ja, gleich mehrere!),

  • liebe Menschen von früher wiederzusehen und sich nach all den Jahren sofort wieder auf einer persönlichen Ebene austauschen zu können,

  • ein superleckeres Essen auf einer Terrasse, nach den vergangenen Monaten überhaupt nicht mehr selbstverständlich und daher ein besonderer Genuss,

  • ein inspirierender Tag im Museum,

  • wenn ich auf meiner Abendrunde einen Biber beobachten kann,

  • Melonen mit Schinken zu essen und mich dabei wie in Italien zu fühlen,

  • ein richtig gutes Buch,

  • den 40. Geburtstag meiner Schwester feiern zu können – auch keine Selbstverständlichkeit mehr,

  • dass das Bienenvolk wieder von selbst aus der Holzverkleidung in unserem Erker auszog (ja, wir hatten etwa 36 Stunden lang summende Mitbewohner!),

  • eine Wanderung durch den Bergfrühling mit meinen Eltern,

  • ein Tag in einer Schweizer Stadt, der sich sehr wie Ferien anfühlte: flanieren, lecker essen, in ein paar Läden vorbeischauen, bunte Hausfassaden fotografieren, Kaffee trinken;

  • malen mit Musik in den Ohren, oder

  • wenn ich wieder eine kleine Ecke in unserer Wohnung aussortiert habe.

Neu entdeckt habe ich übrigens (endlich) den Podcast “Alles gesagt?" von der ZEIT. Und hörte mir an einem ruhigen Sonntag tatsächlich ein ganzes Interview von vier Stunden an! In den Ohren hatte ich ansonsten noch diese Playlist – perfekt für einen gemütlichen Abend zu Hause, finde ich.

Wie geht es Euch so?
Und was ist Euer Sommerglück?

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

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