Über den Feminismus
von Elaine, über Gesellschaft, Ungewollte Kinderlosigkeit, Abschied vom Kinderwunsch
Ich bin ein Kind, oder vielleicht sollte ich sagen, eine Tochter ;-) des Feminismus. Als ich zur Matura antrat, hatte ich nicht nur Geschichtsunterricht unter sämtlichen Aspekten der Weiblichkeit genossen (wusstet Ihr, dass es eine weibliche Pharaonin gab? Sie hiess Hatschepsut), sondern auch jahrelang eingetrichtert bekommen: “Du kannst alles sein, was du willst. Du kannst Karriere machen, wenn du das möchtest. Du kannst studieren. Mach etwas aus deinem Leben!”. Und ja, das wollte ich! Ich wollte meine Wissensdurst stillen, einen Beruf erlernen, den ich mit Leidenschaft ausüben konnte, die Welt entdecken, Abenteuer erleben.
Ganz selbstverständlich ging ich davon aus, dass ich irgendwann Kinder haben würde. Aber - und das geht sicher auch heute noch vielen Frauen so - ich wollte zuerst meine Ausbildung abschliessen, und dann wollte ich noch ein paar Jahre arbeiten, Geld verdienen. Den richtigen Mann für eine Familiengründung braucht es natürlich auch noch, und womöglich ist der nicht so schnell zur Stelle! Also dauerte es seine Zeit, bis Kinder dann konkret zu einem Thema wurden.
Niemand hat uns jungen Frauen damals gesagt, dass die Fruchtbarkeit über dreissig rapide abnimmt. In die Kunst der Empfängnisverhütung wurden wir eingeweiht, bereits mit zwölf Jahren. Aber niemand hat uns gewarnt: Pass auf, du kannst nicht ALLES haben. Zumindest nicht gleichzeitig. Und auch nicht immer hintereinander. Du musst dich entscheiden, es gilt Kompromisse einzugehen. Überlege dir, was wichtig ist.
Nachdem ich nun keine Kinder bekommen kann, habe ich einer jungen Frau, die mir nahesteht, ans Herz gelegt, wenn möglich das Kinder-Kriegen nicht auf über dreissig zu verschieben. Weil unter dreissig die Chancen einfach besser sind. Nun kommt es natürlich darauf an, wie sehr man sich Kinder wünscht und wie stark eine Karriere im Vordergrund steht. Diese junge Frau wusste nicht so genau, was sie nach ihrer Ausbildung und einigen Jahren Berufserfahrung tun wollte. Reisen? Sich weiterbilden? Oder gar eine Zweitausbildung in Angriff nehmen? Nichts fühlte sich richtig an. Den Mann fürs Leben hatte sie jedoch schon. Und die Gewissheit, Kinder zu wollen.
Ich habe aus meinem eigenen Beispiel gelernt und möchte verhindern, dass meiner jungen Freundin dasselbe passiert wie mir. Entscheiden darf sie selbst. Sie soll ihre Entscheidung aber auf die richtigen Informationen stützen können. Sie verfügt heute zum Glück über ein Wissen, das mir damals fehlte.
Feminismus ist schön und gut. Ich bin dankbar für das Erreichte - hier in der Schweiz wurde das Frauenstimmrecht in einem Kanton zum Beispiel erst 1990 eingeführt (unglaublich, oder?). Es gibt auch heute noch einiges aufzuholen für uns Frauen. Aber wir müssen uns unserer Ressourcen auch bewusst sein. Wenn es mit den Kindern klappt und man tatsächlich Familie hat, stellen sich neue Fragen: Kann ich Karriere machen und gleichzeitig Kinder grossziehen? Will ich das? Wie ist die Arbeitsteilung zwischen meinem Mann und mir? Wer führt den Haushalt? Betreut die Kinder? Was ist, wenn die Kinder krank sind? Und wer bezahlt den Preis für den Versuch, alle diese Bälle in der Luft zu halten? Kann ich beides richtig gut machen? Werde ich nicht irgendwo ein schlechtes Gewissen haben, entweder gegenüber den Kindern oder gegenüber dem Arbeitgeber? Werde ich nicht ausbrennen beim Versuch, allen Anforderungen gerecht zu werden?
Das sind Herausforderungen, vor denen meine Freundinnen mit Kindern stehen. Das ist nicht einfach. In gewisser Hinsicht habe ich es da leichter. Da sind keine Kinder. Ich bin dadurch freier. Ich kann Karriere machen, wenn ich will. Ich kann mein Leben aber auch anderweitig sinnvoll gestalten. Ganz wie ich will. Heute bin ich in der Lage, dies zu sehen. Das ging nicht von heute auf morgen. Eine lange, erfolglose Kinderwunschzeit hat so ihre Auswirkungen. Der Kontrollverlust und die Trauer lassen einen nicht so schnell erkennen, welche ungeahnten und tollen Möglichkeiten einem eigentlich offenstehen. Die Zeit war da ein wesentlicher Faktor, jedenfalls bei mir.
Foto: Elaine
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