Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Freitag

24

März 2017

Über die Freiheit

von Elaine, über Heilsam, Hoffnung, Ungewollte Kinderlosigkeit

Als wir mit der Kinderwunschbehandlung aufhörten, war mir - im Kopf - durchaus bewusst, dass ein Leben ohne Kinder mehr Freiheit beinhalten würde als eines mit. Aber mein Herz konnte sich darüber überhaupt nicht freuen. Es musste erst Abschied nehmen, trauern. Diese Freiheit war wie ein theoretisches Konstrukt, dass da draussen schwebte, irgendwo am Horizont. Mit mir hatte sie nicht viel zu tun, jedenfalls emotional. Ich hatte ja nicht die Freiheit genossen, meine eigenen Kinder zu kriegen. Nein. Diese Entscheidung war mir abgenommen worden.

Wie ich getrauert habe, wissen diejenigen, die hier schon länger mitlesen, mittlerweile recht gut. Erst war es nicht lustig. Dann wurde es besser. Ich ging kleine Schritte. Lernte, mir Sorge zu tragen, genügend Sport zu treiben, an die frische Luft zu gehen. Meine Trauer, ja sogar Wut, Neid oder Scham anzunehmen. Ich lernte, freundlich zu mir selbst zu sein.

Irgendwann nahm ich eine Zweitausbildung in Angriff. Hier machte sich diese ungewollte Freiheit bereits in Fakten und Taten bemerkbar, aber sie drang immer noch nicht bis in mein Herz vor. Ich freute mich über alles, was ich in der Schule lernen durfte, und es tat mir auch gut. Vor allem der Fokus weg vom Thema Kinderkriegen. Die Zeit verging. Und irgendwann… wie soll ich sagen… begann mein Herz wieder heil zu werden. Jeden Tag ein Stückchen mehr. Manchmal unmerklich, hin und wieder auch spürbar. Plötzlich vertrug ich gewisse Dinge besser als zuvor. Ich konnte aktiver sein, anstatt passiv der Dinge zu harren.

Letzthin waren wir zu einem Fest eingeladen. Es hatte ein paar schwangere Frauen dort. Natürlich fanden sich diese ziemlich schnell. Ich traf die Entscheidung, mich neben ein Paar in den 50er-Jahren zu setzen und bei den Wortfetzen, die von den schwangeren Frauen herüberdrangen, einfach wegzuhören. Ich begrüsste die Kinder, aber ich setzte mich bewusst in den Raum, in dem es keine Spielsachen hatte. Den ruhigeren Raum, in dem man ungestört mit anderen Gästen reden konnte. Ich hatte gute Gespräche. Auf die Kinder-Frage konnte ich locker und offen antworten. Es tat nicht mehr weh. Und ich traf - vielleicht ist das ein Geschenk - auf Mitgefühl, Verständnis und auch ein Stück Respekt. Diese Frau in den 50ern bestätigte mir, dass wir tatsächlich viele sind. Allein unter ihren Angestellten befinden sich mehrere solche Frauen wie ich (oder wie du). Mir gegenüber am Tisch sass eine Single-Frau. Sie bestätigte mir, dass auch sie das Anders-Sein und das Von-Der-Norm-Abweichen manchmal schwierig findet. Weil die Menschen mit dem, was anders ist, nicht so gut umgehen können. Es waren offene Gespräche. Wohltuende Gespräche. Ich fühlte mich stark. Und nicht so alleine, wie das früher der Fall gewesen wäre.

Als ich dann wieder zu Hause war, fiel es mir erst auf: ich fühle mich jetzt frei. Frei, mich weg von den Schwangeren zu setzen. Frei, mich im ruhigeren Raum aufzuhalten. Frei zu sagen, dass ich ungewollt kinderlos bin, wenn jemand die Kinder-Frage stellt. Weil ich finde, dass jemand auch die Antwort vertragen muss, wenn er die Frage stellt. Sonst muss er sie erst gar nicht stellen.

Wow. Freiheit. Wer hätte das gedacht? Sie fühlt sich gut an. Ich entscheide bewusst. Ich bin kein Opfer mehr. Intuitiv schaue ich, was mir gut tut, und was weniger. Von dem, was mir weniger gut tut, halte ich mich teilweise fern. Ich denke, das ist nur legitim. Das ist die “kleine” Freiheit, wenn man so will. Die, die in Alltagssituationen spürbar wird. Natürlich gibt es dem gegenüber auch die “grosse” Freiheit: zu reisen, irgendein Projekt in Angriff zu nehmen, Träume zu verwirklichen, was auch immer. Diese Freiheit hat inzwischen durchaus etwas Attraktives für mich. Ich fange wieder an, Listen zu führen. Listen mit Dingen, die ich gerne tun würde. Orten, die ich gerne sehen würde. Und mich darüber zu freuen.

Ganz ehrlich: ich hätte nicht gedacht, dass ich diese Freiheit einmal wirklich geniessen würde. Damals, als ich sie nur im Kopf erkannte, aber nicht mit dem Gefühl, hätte ich sie zu gerne eingetauscht. Gegen ein Kind, auch nur ein einziges. Aber jetzt nicht mehr. Es ist gut so. Genau so, wie es ist.

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

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