Warum eigentlich Kinder?
von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Abschied vom Kinderwunsch, Bloggen, Sinn
Das Tolle am Bloggen ist, dass man nicht alleine in einem luftleeren Raum schwebt. Da sind andere Frauen, die zum gleichen Thema bloggen. Die CNBC-Community (CNBC steht für “childless not by choice”, zu Deutsch “ungewollt kinderlos”) ist eine ganz aussergewöhnliche und sehr wertvolle Gemeinschaft. Schon oft hat mich die Interaktion mit anderen Blogerinnen inspiriert, getröstet oder hat mir neue Denkanstösse gegeben. Und manchmal resultierten daraus wesentliche Erkenntnisse über mich selbst. Heute schreibe ich über eine davon.
In meinem Gastpost bei Klara erwähnte ich, dass ich meine Hoffnung auf Kinder loslassen musste. Dass ich aber eine neue Hoffnung hatte: diejenige auf ein erfülltes Leben. In einem der Kommentare schrieb Ruby, beim Lesen des Artikels habe sie realisiert, dass es ihr im Grunde beim Kinderwunsch genau darum gegangen war - um ein erfülltes Leben. Was wiederum etwas bei mir auslöste. Ich fragte mich plötzlich, warum ich eigentlich Kinder gewollt hatte? Mit welcher Hoffnung verband ich meinen Kinderwunsch? Was versprach ich mir vom Mutter-Sein?
Ich notierte mir diese Frage, wusste aber während langer Zeit keine Antwort darauf. Es gibt nämlich tausend Gründe, warum mir meine Kinder fehlen, aber diese waren anfänglich nicht die Beweggründe dafür, ein Kind erst überhaupt zu wollen. Ich war nicht in der Lage, durch das Gewirr meiner tiefen und starken Gefühle zu blicken, bis auf den Grund. Immer mal wieder schaute ich mir die Frage an, bis ich dann irgendwann einen Zipfel der Erkenntnis erhaschen konnte. Ich schrieb das wenige auf, was mir einfiel, und liess es dann wieder bleiben. Das ging ein paar Mal so. Es vergingen mehrere Monate. So tastete ich mich an das Thema heran. Dieser Text hier ist der Versuch eines Zwischenfazits; wer weiss, vielleicht gehen mir in den nächsten Monaten ja noch andere Dinge auf.
Was erhoffte ich mir vom Mutter-Sein? Ich glaube, in erster Linie war es Sinn, Lebensinhalt, Lebensaufgabe. Sich nie die Frage zu stellen, warum man am Morgen aufsteht, weil es einfach sonnenklar ist. Dem kleinen Wesen alles andere unterzuordnen, weil es mich braucht. Eigentlich ist das Gebraucht-Werden aber schon wieder ein Punkt für sich.
Ich hatte mir den Mutterinstinkt als etwas Urmächtiges vorgestellt, und das ist er wohl auch, wenn ich Frauen in meinem Alter beobachte, die Mutter geworden sind. Das wollte ich gerne erleben, dieses Mutter-Sein, Mutter-Fühlen, von der ersten Bewegung im Mutterleib bis hin zum Stolz, wenn das Kind dann irgendwann einmal heiratet. Diese Liebe. Ich sah die Mutterschaft als Teil des Frau-Seins an, und diesen Teil des menschlichen Existenz wollte ich doch so gerne auch erkunden, wollte wissen, “wie das ist”.
Weiter war da wohl auch mein Bedürfnis, jemanden zu umsorgen. Mein Mann meint jeweils scherzhaft, dass er sich hier nur zu gerne zur Verfügung stellt ;-). In diesem Ausmass will er das selber aber gar nicht, es würde ihn nur nerven.
Und dann ist da noch etwas anderes. Es ist die Sehnsucht nach einem kleinen Wesen, das die Augen meines Mannes trägt und die Sommersprossen meiner Mutter. Einem Wesen, in dem ich mich und meine Familie wiedererkenne. Die Miniversion von mir und von meinem Mann. Belle und Isa nennen das die “Sehnsucht nach sich selbst”. Erklären lässt sich das nicht, diese Sehnsucht IST einfach. Punkt.
Manche der Beweggründe lassen sich umlenken. Ich kann meinem Leben zum Beispiel einen anderen Sinn geben. Ich kann mich irgendwo engagieren in Freiwilligenarbeit oder beruflich eine Aufgabe übernehmen, die sinnstiftend ist. Und ich kann mir etwas suchen, das ich umsorgen und betüdeln kann, zum Beispiel, indem ich mir einen Hund oder eine Katze anschaffe. Andere Teile dieser Sehnsucht hingegen können nicht gestillt werden, sie bleiben zurück, schmerzen und werden zu Narben, die erst mit der Zeit verblassen.
Kürzlich lag ich abends im Bett, und plötzlich kannte ich die Antwort. Es war sonnenklar: es geht mir genau wie Ruby. Mein Kinderwunsch steht für den Wunsch nach einem erfüllten Leben. Ich wollte dieses menschliche Leben in seiner ganzen Tiefe, Breite und Höhe auskosten, ausloten, wissen, wie das Mensch-Sein ist, und dazu gehörte auch das Mutter-Sein. Der Gedanke machte mich ganz ruhig. Es breitete sich ein Friede in mir aus.
Manchmal bekommen wir nicht, was wir uns wünschen. Das wissen wir alle, aber es ist leichter wegzustecken, wenn es um eine Stelle, ein Haus, Auto oder ein paar Schuhe geht. Das sind Kleinigkeiten. Eine Familie ist existentieller. Das kann einen schon in eine Krise stürzen, gerade, wenn man davon ausging, ein “Recht” darauf zu haben. Aber am Ende haben wir auf nichts ein Recht. Wir können dankbar sein für alles, was uns geschenkt wurde. Zum Beispiel für unseren Ehemann. Nicht jede Frau hat einen Ehemann!
Am Ende leite ich für mich daraus ab, dass ein erfülltes Leben sehr wohl möglich ist ohne Kinder. Ein Leben ohne das Traumhaus oder den Traumjob ist das schliesslich auch. Der Vergleich hinkt, ich weiss. Aber je länger die Zeit vergeht, desto mehr kann ich so denken. Ich habe nicht das, was ich mir vordergründig gewünscht hatte. Aber was ich im Grunde gewollte habe, kann ich immer noch haben: ein volles, pralles Leben. Und das mit dem Erkunden der Tiefe, Breite und Höhe des Lebens? Na, wenn die letzten sieben Jahre keine Tiefe und Höhe hatten, weiss ich auch nicht. Da war die Trauer. Die mich dazu brachte, mich mit vielen Dingen auseinanderzusetzen, an die andere nicht mal denken. Die Tiefe habe ich, und die Höhe auch. Jetzt erkunde ich mal die Breite. Schliesslich gibt es noch anderes im Leben als den Kinderwunsch. Ich freue mich darauf!
Foto: Elaine
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