Elaine ohne Kind

Über den Abschied vom Kinderwunsch und das Leben danach

Mittwoch

29

Juni 2016

Was ist normal?

von Elaine, über Ungewollte Kinderlosigkeit, Gesellschaft, Trauer, Heilsam

Als ich nicht schwanger wurde, während in unserem Umfeld ein Baby nach dem anderen geboren wurde, war das schwierig für mich. Ich war nicht nur traurig, jeden Monat neu, wenn es nicht geklappt hatte. Ich war auch wütend. Und - das störte mich am meisten - ich verspürte Neid. Warum kriegen die anderen Kinder, warum nicht ich? fragte ich mich. Ich hatte grosse Mühe mit diesen Gefühlen. Ich sollte mich doch freuen. Das verlangte die Gesellschaft, aber auch die Freundschaft. Also, was tat ich da? Ich freute mich nach aussen. Aber in mir drin sah es anders aus. Ich konnte die negativen Gefühle nicht annehmen. Die Wut ging ja noch, aber der Neid… Ich begann, mich als “nicht normal” zu betrachten. Nicht bewusst, aber unbewusst. Ich fühlte es ganz deutlich, ohne es benennen zu können. Mit mir war etwas verkehrt. Nicht nur mit meinem Körper, der einfach nicht schwanger wurde. Nein, auch mit meinem Herzen. Weil ich die Freude der anderen nicht teilen konnte. Am Anfang ging es noch, weil ich dachte “eines Tages bin ich auch an der Reihe”. Aber dieser Tag kam nie.

Wir liessen uns untersuchen und nahmen eine belastende Behandlung auf uns, in der Hoffnung, dass sich unser Wunsch nach einem Kind dadurch erfüllen würde. Ich wurde operiert, hatte danach lange Probleme mit meiner Verdauung. Hier begann ich mich schon etwas zurückzuziehen von meinen Freunden, die Kinder hatten. Es war alles zu anstrengend für mich. Ich konnte mir ihre Sorgen nicht mehr anhören. So gerne hätte ich doch mit ihnen getauscht! Die Kinderwunschbehandlung sog mich völlig aus. Meine Kraft, meine Zeit, meine Gesundheit. Da war nicht mehr viel Platz für anderes. Ich arbeitete, und ich war ständig beim Arzt. Beziehungen litten. Wenn ich langjährige Freundinnen besuchte, drehte sich alles um die Kinder, und das vertrug ich schlecht. Ich musste aufhören, sie zu besuchen. Auch für meinen Mann wurde es schwierig, mit mir klar zu kommen. Ich hatte einfach nichts mehr zu geben.

Irgendwann fand ich andere Frauen online, die keine Kinder haben konnten. Ich las, dass diese negativen Gefühle normal sind. Normal? Normal. Nor-mal. Ich kann fast nicht beschreiben, was das mit mir gemacht hat. Es half enorm.

Als wir die Kinderwunschbehandlung abbrachen, war ich zuerst erleichtert. Endlich wieder Freizeit. Keine Spritzen und Nadeln mehr. Keine kurzfristigen Reisen in die Klinik, die das Sozialleben zunichte machen. Dann aber kam eine heftige Trauer. Ich hatte in meinem Leben noch nicht viel getrauert und wusste wenig über die Trauer. Sie machte mir Angst. Manchmal kam sie in riesigen Wellen, so dass ich das Gefühl hatte, darin zu ertrinken. Ich ging zu einer Psychologin. Ich lernte vieles. Zum Beispiel, dass ich eben nicht so verkehrt war, wie ich dachte. Ich ging durch meine Trauer hindurch. Irgendwann wurde es besser. Die Kraft kehrte zurück. Und die Freude.

Inzwischen wurde mir klar, dass “normal” ein Wort ist, das mit Vorsicht zu geniessen ist. Denn ist nicht jedes Leben, jede Geschichte anders?

Foto: Elaine

Elaine

lebt in der Schweiz. Sie liebt die Natur, besonders im Frühling. Sie mag Spaziergänge, Wanderungen, die Berge, das Meer, Bücher, Kunst, Flohmärkte, Brockenhäuser.

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