Wut: Freund oder Feind?
von Elaine, über Abschied vom Kinderwunsch, Heilsam, Weisheit, Bücher
Manchmal scheint mir, als würde ich aus den schwierigen Dingen im Leben am meisten lernen. Geht es Euch auch so? Aus meiner ungewollten Kinderlosigkeit habe ich bisher vor allem zwei Dinge gelernt: Selbstfürsorge (mehr darüber hier) und ein bisschen etwas über den Umgang mit negativen Gefühlen wie Trauer, Wut, Neid, Scham. Nicht, dass ich jetzt schon alles wüsste, ich bin immer noch dran. Ihr versteht schon ;-). Trotzdem möchte ich hier etwas darüber schreiben. Weil mir meine neuen Erkenntnisse sehr helfen. Wer weiss, vielleicht können sie ja auch Euch weiterhelfen?
Zuerst an dieser Stelle eine Buchempfehlung: Falls Ihr Englisch könnt, möchte ich Euch das Buch The Next Happy sehr ans Herz legen. Hauptthema des Buches ist, dass man manchmal einen Traum loslassen muss, um sein Glück zu finden. Ich habe es mir in den letzten Tagen zu Gemüte geführt und finde es sehr hilfreich. Manches, was darin vorkommt, war mir bereits bekannt. Anderes war mir neu; viele Stellen habe ich mit Leuchtstift markiert. Mehr als einmal beruhigte es mich zu lesen, dass gewisse “Symptome” zu einer Trauerphase gehören können, die mich zuvor fast etwas geängstigt hatten. Dass das gut tut, muss ich Euch wohl nicht sagen. Tracey Cleantis beschreibt unter anderem verschiedene negative Gefühle, die beim Abschied von einem Lebenstraum als Begleiterscheinung auftreten können. Und sie gibt Tipps zum Umgang damit. Meine erste Reaktion auf dieses Buch: Schade, dass ich es nicht früher gelesen habe!
Ich weiss nicht, wie es bei Euch ist: manche Gefühle sind in meiner Familie und meinem Umfeld besser akzeptiert als andere. Trauer ist gerade noch so okay. Mit Wut und Neid ist es da schon anders. Beide sind ziemlich unerwünscht. Mit dem Resultat, dass ich sie versuchte zu unterdrücken. Oder zu vergessen. Oder zu überspielen. Kennt Ihr das?
Nun, Tracey Cleantis zeigt auch die positiven Eigenschaften mancher dieser negativen Gefühle auf. Wut, so unbeliebt sie sein mag, hat etwas sehr Aktives. Vielleicht denkt Ihr als Erstes an ihre destruktive Seite, aber es muss ja nicht immer gleich Geschirr zu Bruch gehen, wenn wir wütend sind ;-)! Es kommt darauf an, was man damit macht. Wut - oft ein Signal dafür, dass etwas im Argen ist, wir uns zum Beispiel ungerecht behandelt fühlen - kann auch als Motor dazu dienen, etwas zu ändern. Wohl zum ersten Mal in meinem Leben - ich übertreibe nicht - kann ich Wut auch als etwas Gutes sehen. Wut kann aus mir eine Kämpferin machen. Eine, die aufsteht und sagt: Halt, Stopp. Nicht so mit mir! Das macht es doch leichter, die Wut anzunehmen, oder nicht?
Mein letztes Erlebnis mit der Wut war folgendes: Ich entdeckte, dass eine meiner Lieblingsbloggerinnen schwanger ist. Dazu muss ich vielleicht noch erklären, dass ich jahrelang vor allem Lifestyle-Blogs las. Ich fand auf diese Weise schon öfter einfache, aber leckere Rezepte, umsetzbare Modetipps oder praktische Einrichtungsideen. Ich las diese Blogs bereits vor der Zeit des aktiven Kinderwunsches, in der Anfangsphase davon, während der Behandlungszeit und auch danach. Sie waren manchmal ein Stückchen “heile Welt”, die mir Entspannung bot, gerade wenn das wirkliche Leben nur zu sehr das Gegenteil davon war. Aber zurück zu jenem Tag. Also, da hatte ich mich auf schöne Bilder gefreut und traf auf was? Ein Foto von einem leicht gewölbten Bauch. Nun ja, er ist immer noch weniger gewölbt als es meiner es während der Kinderwunschbehandlung oft war - Blähungen ahoi. Aber die Bloggerin freut sich darüber. Und sie ist stolz darauf. Das darf sie auch sein, es ist normal, und ich gönne es ihr. Ich war erleichtert festzustellen, dass da kein Neid war (und Neid verspürte ich eine Zeit lang seeehr oft, puh!). Stattdessen wurde ich ärgerlich. Und frustriert. Was? Sollte mir auch dieses “Stückchen Land” noch weggenommen werden, wo es doch noch so wenige Orte gab, die frei von Schwangerschaften, Geburten und Kleinkindern waren, die mich also ausnahmsweise mal nicht an die Tatsache erinnerten, dass ich keine Kinder haben kann? Es machte mich wütend.
Ich beschloss, nach draussen zu gehen. Bei mir ein Mittel gegen vieles. Ich ging, und ich war wütend, und ich ging, und ging, und ging, und da kam mir plötzlich in den Sinn, was ich im Buch gelesen hatte. Dass die Wut nicht unbedingt mein Feind sein muss. Dass sie mein Freund sein kann. Ja, ich empfinde es als ungerecht. Weil ich mich durch meine Kinderlosigkeit eingeschränkt fühle. Weil ich an manche Orte nicht mehr hingehe und mit manchen Leuten nichts mehr gemeinsam habe. Aber muss ich das zulassen? Muss ich passiv bleiben und sagen: Jetzt ist es halt so? Muss ich es hinnehmen? Nein. Muss ich nicht. Ich kann aufstehen und sagen: Nur, weil ich keine Kinder haben kann, muss ich mir nicht alles andere auch noch wegnehmen lassen. Nein, nein und nochmals nein! Ha! Und das fühlte sich schon so viel besser an!
Da bin ich nun. Unternommen habe ich noch nichts. Weil ich noch nicht weiss, was ;-). Nur meine Haltung hat sich geändert. Und das ist schon eine Riesensache :-). Demnächst hoffe ich noch herauszufinden, wie ich es praktisch umsetzen kann, mir mein “Territorium” nicht noch weiter verkleinern lassen zu müssen. Wenn ich herausgefunden habe, wie das geht, schreibe ich darüber ;-). Oder vielleicht weiss ja schon eine von Euch, wie man das macht?
Fröhlich-kämpferische Sommergrüsse!
Foto: Elaine
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